Wir kommen durch unsere Eltern – Mutter und Vater – in die Welt. Die Vereinigung von Mann und Frau sowie die Befruchtung der weiblichen Eizelle durch den männlichen Samen ergeben noch nicht das menschliche Kind. Damit wir geboren werden und in die sichtbare Welt kommen konnten, wurde uns „eine Seele eingehaucht“. Anders gesagt: Gott fügte etwas („SICH“) hinzu – und so wurden wir Mensch.
Diese Tatsache hat eine radikale Dimension, eine Grundwurzelbedeutung und enorme Auswirkung auf unser aller Leben. Hier wäre der Schlüssel, um die eingesperrte Adoleszenz (Pubertät, Egozentrik und Narzissmus miteingeschlossen) in der Gesellschaft endlich zu befreien, um eine menschliche Erwachsenengesellschaft hervorzubringen. Wir gehören nicht unseren Eltern, und die Eltern gehören nicht uns. Wir gehören dem Leben, der Schöpfung und Gott. Wir sind die Kinder Gottes. Oder: Gott ist unsere Eltern.
Da sagte jemand zu Jesus: „Siehe, deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und wünschen dich zu sprechen.“ Er antwortete dem, der es ihm mitteilte: „Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?“ Und er streckte seine Hand über seine Jünger und sprach: „Siehe, meine Mutter und meine Brüder. Denn jeder, der den Willen meines Vaters im Himmel tut, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter.“ Mt. 12, 47-50
Wenn zu Beginn des Lebens das Baby in die Augen von Mutter und Vater schaut, dann erkennt es Gott darin. Anfänglich – in den ersten Kindheitsjahren – brauchen wir Vater und Mutter, damit sie uns beschützen, versorgen, nähren und heranziehen zu gläubigen, sozialen, mitmenschlichen, frei denkenden, eigenständigen Erdenbürgern, die mit allen Lebensformen zusammenleben können. Unsere wichtigsten Bezugspersonen sollten uns dazu erziehen, ein Leben in Religiosität und Spiritualität, mit moralischen Werten zwischenmenschlichen Zusammenlebens und einer ganzheitlichen Welt-Ethik (wie sie der Dalai-Lama postuliert) führen zu können.
Sie haben uns beizubringen und vorzuleben, wie jeder mit dem Göttlichen in sich zu kommunizieren vermag. Die Eltern, Erzieher, Lehrer hätten uns Gott näherbringen sollen. Das bedeutet „Lebensschule“.
Damit kommt auf die Eltern eine gewaltige Aufgabe zu. Sind die Kindheitsjahre vorbei, beginnen die jungen Erwachsenenjahre (Pubertät, Adoleszenz) – hoffentlich durch einen initiatorischen Übergangsprozess der Einweihung und Einführung ins verantwortliche Erwachsenenleben in Begleitung reifer Mentoren. In diesem Übergang sollten sich die Kinder auf eine ehrenvolle Art und Weise von ihren Eltern verabschieden dürfen. Denn:
„Wer Vater und Mutter ehrt, ist des Lebens wert!“
Nach diesem bewussten Übergang und dieser Ablösung beginnt für alle Menschen ein neues Leben – mit dem Verständnis und dem Anspruch, dass wir ab sofort Himmel und Erde gehören. Sie sind, wenn wir erwachsen sein wollen, jetzt unsere Eltern – die Schöpfung und Gott.
Erhöhen wir nochmals ein wenig die Dosis – womöglich ist dies für den einen oder anderen keine gute Nachricht, gar allzu starker Tobak: „Du hast Vater und Mutter zu verlassen!“ „Du hast von ihnen zu gehen!“
Dies ändert nichts an deiner Liebe zu ihnen. Aber! Nur von Eltern abgelöste Söhne und Töchter (Männer und Frauen) sind bereit, ganz und gar für das Leben und die Schöpfung einzutreten. Wir alle, jeder einzelne von uns, haben den gleichen Vater und dieselbe Mutter: Gott!